Ein Abriss

Ein Abriss über die Geschichte der Deutschen in Ungarn

Die ersten Deutschen in Ungarn

Die Deutschen in Ungarn blicken wahrlich auf eine lange Geschichte im Karpatenbecken zurück. Bereits vor der madjarischen Landnahme Ende des 9. Jahrhunderts n. Chr. siedelten sich Germanen im Karpatenbecken an. Die Gründung des Ungarischen Königreiches im Jahre 1000 und die Heirat des Arpadenfürsten Stephan I mit Gisela Prinzessin von Bayern vier Jahre zuvor markierten den Beginn eines neuen Kapitels in der deutsch-ungarischen Geschichte. Mit Gisela kamen deutsche Adlige, Geistliche und Gelehrte ins Land und halfen beim Aufbau des zuvor heidnischen und stammesorganisierten Landes. Die zur Legende gewordenen Mahnungen Stephans an seinen früh verstorbenen Sohn, den Kronprinzen Emmerich, wonach ein Land schwach sei mit einer einzigen Sprache, zeugen vom weltoffenen und toleranten Denken des ersten ungarischen Monarchen. Die ungarischen Könige förderten die Ansiedlung von westeuropäischen Siedlern, von denen sie sich eine wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung des mitteleuropäischen Landes erhofften. So rief Geisa II. Mitte des 12. Jahrhunderts so genannte Sachsen ins Land, die größtenteils aus dem heutigen Südwestdeutschland und dem Großherzogtum Luxemburg stammten. Sie siedelten sich in Siebenbürgen an und bildeten eine identitätsbewusste, städtisch geprägte Gemeinschaft, die bis ins 19. Jahrhundert über politische (ständische) Vorrechte verfügte. Eine besondere Stütze bei der Bewahrung der siebenbürgisch-sächsischen Identität und Sprache stellte seit der Reformation die Evangelische Kirche A.B., die rege Kontakte zu den lutherischen Gebieten im Mutterland unterhielt, dar. Auch in der Zips siedelten sich „Sachsen” an, die seit der Herrschaft von König Stephan V. über einen Freiheitsbrief verfügten. Sie spielten im Handel und Bergbau eine wichtige Rolle.

Vorreiter der bürgerlichen Entwicklung

Auch in der bürgerlichen Entwicklung spielten die Deutschen eine herausragende Bedeutung. Bis ins 19. Jahrhundert stellten die Deutschen und die Juden die Mehrheit der Bewohner der größeren Städte, und dies gilt nicht nur für die Deutschen oder besser gesagt Deutschösterreicher in Westungarn, die unter anderem in den Städten Güns, Ödenburg oder Pressburg ansässig waren und die historisch betrachtet eine der ersten deutschen Siedlergruppe waren. Die Städte Ofen, Altofen und Pesth, die 1873 zu Budapest vereinigt wurden, waren über Jahrhunderte genauso deutschsprachig beziehungsweise vom deutschen Bürgertum bewohnt wie die heutige slowakische Hauptstadt Pressburg (Bratislava), die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs über eine relative deutsch-österreichische Bevölkerungsmehrheit verfügte, oder wie die europäische Kulturhauptstadt von 2007 Hermannstadt/Sibiu, bis 1926 mehrheitlich von Sachsen (und Landlern) bewohnt.

Große Ansiedlung im 18. Jahrhundert

Die Vertreibung der Osmanen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts läutete eine neue Epoche in der ungarndeutschen Geschichte ein: Die verödeten Landstriche zogen Siedler an. Die Ansiedlung war aber nicht nur spontan und gerade im Falle der Deutschen eine eher organisierte Aktion, meist betrieben von Mitgliedern des Hochadels, die den Siedlern auf ihren Gütern einen Neuanfang boten. Die restriktive Erbfolgeregelungen in vielen Gebieten Deutschlands und der Schweiz lockten Neusiedler an: So machte sich beispielsweise Mitte März 1696 ein Vorfahre des Zeichners dieser Zeilen, ein Landwirt namens Sylvester Manhertz aus Tafertsweiler bei Sigmaringen, auf den Weg, um einen Monat später in der Gemeinde Werischwar vor den Toren der Hauptstadt mit Sack und Pack anzukommen. So kamen mehrere zehntausend, meist katholische Siedler nach Ungarn und veränderten die Bevölkerungsstruktur des Landes nachhaltig, so dass der Anteil der Madjaren unter 50 % sank. Die Deutschen in Ungarn nennt man heute fälschlicherweise „Schwaben”, obwohl nur etwa zwei Prozent der Deutschen in Ungarn über schwäbische Vorfahren verfügen. Eine andere Geschichte, die aber zeitgleich stattgefunden hat, stellte die Ansiedlung der Siebenbürger Landler dar: Sie siedelten sich als Evangelische neben den Sachsen in drei Gemeinden (Neppendorf, Großau und Großpold) an.

Die Deutschen zwischen Moderne und Tradition

Das 19. Jahrhundert gilt gemeinhin als eine Zeit des nationalen Erwachens. Nicht anders war es in Ungarn, wo in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Minderheiten die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Seit dem Reformzeitalter (1825-1848) gewann die nationale Frage an Bedeutung, dies auch aus der Problematik der fehlenden staatlichen Eigenständigkeit Ungarns heraus. Der Ausgleich mit Österreich im Jahre 1867 markierte den Beginn eines neuen Zeitalters ungarischer Minderheitenpolitik. An die Stelle der natürlichen Assimilation, die besonders Kreise des deutschen Bürgertums in den Städten betraf, trat eine bewusste Madjarisierungspolitik. Dies äußerte sich nicht nur in der Schulpolitik, sondern auch in Verwaltung und Militär: Gesellschaftlicher Aufstieg bedeutete so oft – wie auch unverhohlen madjarischerseits erwartet – die Aufgabe der deutschen Wurzeln, was sich auch durch Namensmadjarisierungen offenbarte. Die Zahl der Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache sank bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs dramatisch (hiervon waren die Schulen in Westungarn und in Siebenbürgen weniger stark betroffen), nicht zuletzt durch die Einrichtung von staatlichen Schulen, die oft an die Stelle der konfessionell betriebenen Schulen traten. Die Assimilierung betraf das Bürgertum viel stärker als die Landbevölkerung, die bestenfalls die vierjährige Bürgerschule besuchte und sich weiterhin der Landwirtschaft widmete.

Im Visier der großen Politik

Das Jahr 1920 stellt bis heute ein annus horribilis in der ungarischen Geschichte dar. Der Verlust von Zweidrittel des Stephan’schen Staatsgebiets infolge des Friedensvertrags von Trianon bestimmte die Politik der Zwischenkriegszeit. Dabei geriet die deutsche Volksgruppe immer mehr ins Visier der großen Politik. Diese Epoche brachte den wohl größten Ungarndeutschen aller Zeiten hervor, den ehemaligen Nationalitätenminister und Vorsitzenden des Ungarländisch-Deutschen Volksbildungsvereins, Dr. Jakob Bleyer, der sich bis zu seinem Tode unermüdlich für die Belange der deutschen Gemeinschaft einsetzte. Die Dreißigerjahre waren ohnehin von einer sich verschärfenden Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Volksgruppe geprägt: Sicherlich stellt in diesem Zusammenhang der Volksbund der Deutschen in Ungarn unter Franz Basch die bis heute umstrittenste Organisation dar, deren Rolle und Bedeutung aber dank der historischen Forschung immer stärker differenziert wird. Dabei darf man nicht vergessen, dass die große Politik stets versucht hat die Führungspersönlichkeiten der Ungarndeutschen für sich zu vereinnahmen. Der Volksbund konnte erste Erfolge vorweisen wie die Gründung deutscher Schulen bzw. Abteilungen (mit diplomatischem Rückenwind) und die Stärkung der Identität im Kreise der Ungarndeutschen, seine unrühmliche Rolle bei den Waffen-SS-Zwangsrekrutierungen relativieren aber dies wiederum.

Nachkriegsgeschichte zwischen Verfolgung und Wiedereingliederung

Der Einmarsch der Roten Armee 1945 läutete den Anfang des Leidensweges der Deutschen in Ungarn ein. Bereits 1944 begannen die Verschleppungen nach Sibirien: Unter den Betroffenen waren die Deutschen überrepräsentiert. Aufgrund eines Beschlusses des Ungarischen Ministerrates vom Dezember 1945 begann Januar 1946 die Vertreibung der Deutschen. Bis 1948 mussten auf diese Weise etwa eine Viertelmillion Menschen ihre Heimat verlassen. Die Daheimgeblieben wurden enteignet, in ihre Häuser zogen Slowakeimadjaren und Sekler. Die deutsche Sprache verschwand für Jahre aus der Öffentlichkeit. Die Auflösung der Dorfgemeinschaften, zunehmende Urbanisierung und Industrialisierung und die immer größere Zahl von Mischehen beschleunigten den Assimilierungsprozess bei den Ungarndeutschen. In der Schulpolitik setzte sich ab Anfang der 50er Jahre die „altbewährte Tradition” der ungarischen Minderheitenpolitik fort, mit dem Ergebnis, dass Anfang der 1960er Jahre die letzten Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache geschlossen wurden. Vielerorts wurde Deutsch am Nachmittag fakultativ unterrichtet. Die deutsche Muttersprache wurde zunehmend zu einer Großmuttersprache, Deutschsein drückte sich immer öfter in Form von folkloristischen Darbietungen aus.

Seit der Wende – eine Renaissance deutschen Lebens?

Die Wendezeit brachte das Gefühl eines Aufbruchs. Dies wurde verstärkt durch die Verabschiedung des neuen Minderheitengesetzes mit weitreichenden rechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich des Sprachgebrauchs. 1994/95 wurde ein Selbstverwaltungssystem ins Leben gerufen, an dessen Spitze die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) steht. Der Verband der Ungarndeutschen, 1957 gegründet, wurde aufgelöst, an seine Stelle sollten nun die Selbstverwaltungsorgane treten, was ihnen nur zum Teil gelang. Auf dem Gebiet der Schulpolitik gelang in den letzten 25 Jahren kein großer Durchbruch, bis auf drei Schulzentren und einige zweisprachige Grundschulen und Gymnasien ist die ungarndeutsche Schullandschaft von so genannten „Nationalitätenschulen” geprägt, in denen die deutsche Sprache nur eine untergeordnete Rolle spielt. Seit der jüngsten Zeit sind Signale zu vernehmen, die in die Richtung des Ausbaus der kulturellen Autonomie, insbesondere durch die Übernahme von Schulträgerschaften, zeigen. Es bleibt abzuwarten, ob die erfreulichen Tendenzen bei der Bekenntnis zum Deutschtum in den Volkszählungen auch eine Renaissance hinsichtlich des Sprachgebrauchs einläuten.